Montag, 22. November 2010
Gedanken eines Läufers
Nun beginnen sie wieder, die abendlichen Läufe durch die Dunkelheit, durch den Schneeregen. Ich öffne die Türe, atme die feuchtkalte Luft ein, der innere Schweinehund verstummt. Still wird es dennoch nicht. Die Strecke führt heute über Asphalt anstatt über durchweichte Waldwege. Gleich fühlt sich der Gang behänder an, federn die Schritte anstatt sich im Boden festzusaugen. Vielleicht ist es auch nur Einbildung, schließlich schießt zum ersten Mal an dem Tag frischer Sauerstoff ins Gehirn – das freut sich so, dass gleich ein paar Glückshormone ausgeschüttet werden. Gefährlich, nicht jeder ist so entspannt.
Mittlerweile ist die Lichteiche erreicht. Ein weiteres Opfer des Konjunkturpakets. Endlich bekommt der Ort eine richtig tolle Ampelanlage. So braucht die nachwuchschauffierende Mutti doppelt so lange von Bamberg nach Memmelsdorf. Ach, was gäbe sie nun für einen Kreisverkehr, so wie im Urlaub in Italien. Und lebt sie denn nicht selbst in der fränkischen Toskana? Ihre Gesichtsfarbe nähert sich der der aufflammenden Bremslichter, als sie an der nächsten Bedarfsampel wieder halten muss, obwohl der unverschämte, knopfdrückende Jogger schon längst bei Rot die Straße überquert hat und im Dunkel verschwindet. Ist die ampelverseuchte Straße endlich verlassen, im verkehrsberuhigten Memmelsdorf wird das Gaspedal durchgedrückt, die eigenen Kinder sind ja an Bord und sicher. Daher Obacht beim innerörtlichen Überqueren von Straßen. Auch wenn der Ort verkehrsberuhigt ist, sind die Straßen so breit und die Gehwege so schmal wie zu Zeiten, als noch eine Bundesstraße den Ort durchzog. Nur parken lässt es sich besser auf den neuen, abgesenkten Gehwegen.
Es wird stiller, Weichendorf liegt hinter mir. Im Dunkel tauchen unmittelbar vor mir zwei Fußgänger auf – in dunkler Kleidung. Die Wirkung ist die einer Tarnkappe. Sollte das ein weiteres Indiz für das zunehmend unverkrampftere Bekenntnis zu unserer Nation sein. Nicht nur zu Fußball und schwarz-rot-gold. Auch zu unserem Nationalepos? Das passt auch zur (Jahres-)Zeit. Der starke Siegfried hat sich auch nicht ums Wetter gekümmert. Und Krisen erlebten die Nibelungen auch. Da macht man sich gerne einmal unsichtbar. Dann ist es geschafft. Und morgen kaufe ich mir dann doch endlich mal so ein albernes Blinklichtoberarmband…
Abonnieren
Kommentare zum Post (Atom)
2 Kommentare:
..sehr schöne Geschichte - scheinbar gehen wohl jedem ähnliche Gedanken durch den Kopf..
Und ganz der Deutsch-Pauker: toll geschrieben, so mit wechselnder Perspektive und so..
Prädikat: Künstlerisch wertvoll! ;-)
sehr schöner blog, nette berichte: extrem interessant!
mein blog, meine seiten und mein leben:
http://after-damn-comes-dawn.blogspot.com/
falcondawn
Kommentar veröffentlichen